Webspinnen haben wie alle Spinnentiere acht Beine (dies im Unterschied zu den Insekten mit ihren sechs Beinen). So wundert es nicht, dass mein heutiges Augenmerk ausgerechnet der langjährigen, zartgliedrigen Anwohnenden im Jüngsten Gericht des Berner Münsters gilt. Und, dazu gleichzeitig die Wette eingehend, dass Sie die besagte Spezies, ohne Ihren heutigen ver(z)winkelten Blick in meinen Blog wohl nie zu Gesicht bekommen hätten. Ein Augenzwinkern reicht jedoch nicht aus, um der Herkunft der sorgsam versteckt angebrachten Gliederfüsslerin auf den Grund zu gelangen. Und so lässt sich die prägnante Signatur hinter der rechten Gewölberippe (s.Pfeil auf Foto rechts unten) entdecken: Mit Zutritt ins sonst durch hohe Gitter verschlossene Geviert anlässlich von Vesper und Gottesdiensten im Hochsommer oder bei einer öffentlichen Münsterführung (zum Beispiel Frauengeschichten) mit Marie-Therese Lauper oder Barbara Ursprung.
Während dem sich die Restauratoren bei den Arbeiten am Jüngsten Gericht mit signifikanten 3-Tage-Bärten bei den Aposteln Judas Thaddäus und Johannes der Evangelist (s.Pfeil auf Foto links oben) kenntlich machten, haben sich die zwei einzigen, an der Hauptportalrestauration beteiligten Frauen als Ausdruck weiblicher List, mit dem acht-gliedrigen Label (sinnbildlich für deren insgesamt vier Hände und vier Füsse) klammheimlich und nachhaltig in Stein verewigt..!
Eintagesfliegen sind eine geläufige Erscheinung. Dass es sich bei der 27 Jahre dauernden Erneuerung der Figuren des Gesamtwerks im Hauptportal unseres Münsters um ganz andere Dimensionen handeln musste, darf man getrost allen daran Beteiligten und Institutionen bescheinigen. Blättert man zudem durch das fein gestaltete Werk aus dem Jahr 1982 "Das Jüngste Gericht - Das Berner Münster und sein Hauptportal" (herausgegeben vom Verein zur Förderung des Bernischen Historischen Museums) wird man sich gewahr, welch ambitiöse und vom damaligen Inventar her abgeleitete Dringlichkeit diese langwierigen Arbeiten in sich bargen. Die heute am Münsterportal zu bewundernden Figuren und Gruppen sind allesamt Kopien. Deren Originale stehen wohlbehütet im Historischen Museum.
Bereits im Jahr 1964 fällte der Münsterbauverein den Entscheid, die originalen Figuren durch Kopien zu ersetzen. All die vergangenen Jahre mit erheblicher Umweltbelastung durch u.a. Autoabgase, Industrie und Oelheizungen, gaben den damaligen Entscheidungen in verdankenswerter Weise Recht. Heute dürfen wir die erheblichen finanziellen Aufwände beim Weg der Originalfiguren, "vom Münster ins Museum", mit einem entspannten Lächeln verdanken. Und mit einem wissenden Blick zu unserer Webspinne vermöchten wir ein ebensolches angedeutet und vermerkt haben...
sw
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