Da steht er, der 22 Meter tiefe Sodbrunnen der ehemaligen Burg Nydegg. Knapp einen Steinwurf von der Nydeggkirche entfernt. Und gleich daneben beginnt sie, die stark verwinkelte Burgtreppe und führt uns über knapp 100 Stufen in die Tiefe zum sogenannten Ramseyerloch, ein Ort, den (fast) niemand kennt. Oder Sie etwa? Der Griff zum Historisch-Topographischen Lexikon der Stadt Bern scheint unausweichlich - und siehe da: „Das Wachtlokal des Ländtetors, nördlich an dieses anschliessend, diente als Chorgerichtsgefängnis, dessen Name ‚Ramseyerloch‘ an einen langjährigen Insassen (..) in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts erinnert. Standort Mattenenge 3“. Würden wir jetzt hier noch „verzell du das am Fährimaa“ hinzufügen, wäre wohl die Verwirrung total, denn es existiert an Ort weder ein Arrestlokal, noch trifft man den ab- und anlegenden Fährmann mit seiner Barke an.
Doch dass wir ebenda am Fusse einer kurzen Treppe das um 1290 erbaute originale zweite Ländtetor samt anschliessenden Fragmenten der alten Ringmauerbefestigung gut erhalten auffinden, ist in erster Linie den 1959 bei der Neuüberbauung Mattenenge nachhaltig erfolgten Ausgrabungen der Anlage zu verdanken. Das Tor (samt damaligem Wachtturm) sicherte den Zugang zur Anlegestelle für Aareschiffer und zur Fähre, wobei letztere im Jahr 1260 den Dienst einstellte und im Zuge der ersten Stadterweiterung einer ersten Holzbrücke weichen musste. Ein Hochwasser um 1460 machte jedoch selbiger den Garaus und als Folge davon entstand die 52 Meter lange und seit 1676 noch immer rege benutzte Untertorbrücke.
Um dem geschichtsträchtigen Ländtetor das ihm gebührende Ambiente angedeihen zu lassen, beauftragte man 1962 Hans Alexander Fischer mit der Schaffung eines wandfüllenden Sgraffito (sgraffiare, deutsch kratzen), aufgebaut aus verschiedenfarbigen gravierten Putzschichten. Das in aufwändigen Arbeitsgängen über den beiden Sitzbänken geschaffene Werk zeigt die Nydegg ums Jahr 1820 mit Kirche, Ländte und Brücke; nachempfunden und umgesetzt nach einer Zeichnung von Sigmund Wagner. Mit der Erkenntnis „denn sie wissen nicht, was sie tun“ mussten Bevölkerung und Behörden über Jahrzehnte hin mehrfache Sprayereien und inakzeptable Beschädigungen der Anlage durch Nachtbuben hinnehmen, mit Kostenfolgen im hohen fünfstelligen Bereich. 2013 dann erteilte der Regierungsstatthalter nach Beratung mit der Städtischen Denkmalpflege dem Antrag für ein nächtliches Absperrgitter grünes Licht. Notabene halt zum Leidwesen und Nachteil für all die an diesem vermutlichen Kraftort Stille und Einkehr suchenden Verliebten und NachtschwärmerInnen…
sw (BrunneZytig)